Stadt landshut
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Architektonisches Juwel in der Pfettrachgasse

06.10.2022
Bauen/Entwicklung
Wirtschaft

Dort im Nikolaviertel, am Ende der Pfettrachgasse, in unmittelbarer Umgebung des Zisterzienserinnenklosters Seligenthal, da steht es: Ein kleines mittelalterliches Bauernhaus – im Jahr 1486 erbaut. Weit über 500 Jahre ist das nun her und könnte das uralte Holzblockhaus sprechen, welch spannende Geschichten hätte es wohl zu erzählen?

Ein näherer Blick auf die Jahreszahl verrät und lohnt zugleich: Dieses kleine, gar unverwüstlich scheinende Anwesen – Krieg, Pest und Hungersnöten trotzend – wurde nur elf Jahre nach der Landshuter Hochzeit gebaut. Auch in dieser Zeitspanne, wenige Jahre zuvor, wurde unter anderem mit dem Bau des heute weltberühmten Backsteinturms der Martinskirche begonnen und dessen hohes Satteldach errichtet. Spannt man den historischen Ereignisbogen noch weiter, entstand das von einst versierten Zimmerermännern errichtete Bauwerk in der Pfettrachgasse, noch bevor Kolumbus Amerika entdeckte – sechs Jahre zuvor um genau zu sein.
Beeindruckend würde man meinen – und doch fristete das Landshuter Holzblockhaus ob der Vielzahl an baulichen Eingriffen über die Epochen hinweg ein zuletzt augenscheinlich trauriges Dasein. In seinem fünfhundertjährigen Verlauf gab es mehrere Verwandlungen – es diente als Handwerkerhaus, Bauernhaus, Gasthaus und Wohnhaus. Es überbrückte die Wunden und großen Schäden, die in dieser Zeit durch die Eingriffe – teils ohne Sachverstand und Materialkunde – an ihm vorgenommen wurden; es ächzte und wand sich unter den veränderten Kraftverläufen, aber wie durch ein Wunder hielt es nach mehr als 500 Jahren immer noch stand.
Zuletzt verlassen, vernachlässigt und bisweilen unscheinbar, bis sich 2018 das renommierte Münchener Architektenehepaar Annette und Markus Stenger mit Landshuter Wurzeln dem Denkmal würdevoll annahmen und dieses bauliche Erbe – einen wahren Schatz Landshuter Geschichte – behutsam, Schritt für Schritt, freilegten, es sichtbar machten und ihm wieder neues Leben einhauchten.

Vermeintliches Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert entpuppt sich als uralt
Eine weitere bedeutsame Tatsache, die diesem Bauvorhaben einzigartigen Charakter verleiht: Das Bauwerk entpuppte sich während der Sanierung als großes „Überraschungsei“ – denn die Stengers gingen beim Erwerb laut Denkmalliste von einem Bauernhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert aus. Dass es allerdings mehr als 500 Jahre standhaft überdauerte, kam – für die Stengers völlig unverhofft – erst Schicht um Schicht um Schicht zutage. Eine dendrochronologische Untersuchung verwies schließlich zurück in das Jahr 1486.
Von dem ursprünglichen Bauernhof erhalten ist noch das schmale Wohngebäude. Der Wirtschaftsteil wurde 1844 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Erd- und Obergeschoss bestehen jeweils aus zwei Räumen. Familie Stenger baute es bis auf seinen ursprünglichen Zustand zurück.
Der Rückbau in den ursprünglichen, bauzeitlichen Zustand des Gebäudes gab die Richtung der Sanierung vor. Dies führte beispielsweise auch zur Wieder-Verkleinerung der Fensteröffnungen im Erdgeschoss, wo sie nun wieder in ihrer ursprünglichen Position zu finden sind. Eine handwerks- und materialgerechte Sanierung mit nachhaltigen Baustoffen folgten – stets in enger Abstimmung mit den Denkmalbehörden.

Hingabe, Demut und Respekt
„Welch unglaublich großartige Rück-Verwandlung“, zeigte sich Oberbürgermeister Alexander Putz beeindruckt, der kürzlich von der Familie Stenger eine Führung durch das denkmalgeschützte Gebäude erhielt. Der Oberbürgermeister gestand gleich zu Beginn, dass ihm das Haus vor der Sanierung nie aufgefallen sei. Dem konnte Markus Stenger, der bejahend nickte, nur beipflichten. „Das sagen ganz viele Leute, die hier vorbeigehen!“, ergänzte er. Ein Grund, der das Haus subjektiv verborgen schienen ließ, war laut Aussagen der bisherige weiße Verputz. „Aus Unwissen, vielleicht aus der Ignoranz gegenüber dem Alten, scheinbar Überkommenen, hat das 20. Jahrhundert dem Haus Masken und Verkleidungen verpasst, es bis zur Unkenntlichkeit versteckt… Es war so, als wäre das kleine Gebäude in einen lähmend-toxischen Todesschlaf verfallen. Das Haus wurde zunehmend obsolet…“, schrieb Stenger in einer Dokumentation unter dem Titel „Die drei Verwandlungen“. Darin gibt der Architekt beeindruckend wie spannend Einblick in den mehrteiligen Transformationsprozess – Schicht um Schicht rekonstruiert er Vergangenheit, lässt der Reihe nach Revue passieren und nimmt den Leser in bildhafter, kurzweiliger Sprache mit auf die Reise rund um den Bau dieses über 500 Jahre alten Landshuter Holzblockhauses, dessen Bohlen übrigens aus dem Voralpenland stammten und mit Flößen herangeschafft wurden.
Das Niedergeschriebene lässt nur ansatzweise erahnen, welch Hingabe, Demut und Respekt die Eigentümer der Sanierung des Gebäudes widmeten.

„Gastgeb“: Ein offenes Haus für die Stadt
Mit dem Erwerb des Hauses erfüllten sich die Stengers nach eigener Aussage einen Traum: Die behutsame, handwerks- und materialgerechte Sanierung eines eigenen denkmalgeschützten Gebäudes in Markus Stengers Heimat Niederbayern – ganz ohne Zeitdruck.
„Die Leute sind in den vergangenen Jahrzehnten, gar Jahrhunderten daran vorbeigegangen, ohne zu wissen, was sich dort verbirgt. Dank Ihnen sehen sie es jetzt wieder“, sagte Putz.
Mehr als drei Jahre dauerten die Sanierungsarbeiten an. Vor allem die Bewohner des Nikolaviertels zeigten während der Bauphase großes Interesse. Für das Architektenpaar war – auch nachdem man erkannt hat, dass es sich um ein solch geschichtsträchtiges Haus handelt – schnell klar, dass es nicht hergerichtet und als Wohnung vermietet wird. Sondern: „Es soll so bewahrt werden, wie es ist“, sagte Annette Stenger und „für interessierte Bürger der Stadt geöffnet werden“, ergänzte ihr Mann Markus. So zog nach der Fertigstellung das Konzept „Zur Gastgeb“ in das Gebäude ein. Unter dem Hausnamen werden kreative Hausgäste eingeladen, auf den uralten Ort einzugehen und ihn mit bildender und darstellender Kunst in vielen möglichen Ausdrucksformen zu bespielen. Der Name „Gastgeb“ nimmt auf einen der alten Berufe der mehr als 40 Eigentümer aus Herzogs Häuserchronik Bezug – nämlich die Bereitstellung von Gastbetten – wie im Mittelalter üblich. Ein Haus für Gäste – das soll die kleine Gastgeb laut ihren Eigentümern nun wieder sein. Die Resonanz auf das Konzept war riesig. Auch die Grundschule St. Nikola setzte dort bereits ein Schülerprojekt um, was die Stengers besonders freute.
„Auf einmal war das Haus ‚offiziell übergeben‘. So kann es weitergehen“, sagte Markus Stenger bezugnehmend auf die weiterhin geplante halböffentliche Nutzung des Gebäudes und mögliche Ausstellungen.

„Dem Haus seine Seele wiedergegeben“
„Sie haben dieses architektonische Kleinod freigelegt und ihm nach einer langen Reise voller baulicher Unwägbarkeiten seine bedeutsame, einst die Umgebung prägende Identität wieder zurückgegeben. Es ist ein echtes Landshuter Juwel und bauliches Zeugnis vergangener Zeiten inmitten des Nikolaviertels, das Sie wieder aufleben ließen“, betonte Putz und würdigte die Eigentümer, die sich mit viel Herzblut und Leidenschaft mehr als drei Jahre nicht nur dem Erhalt des Denkmals gewidmet hätten: „Sie haben dem Haus seine Seele wiedergegeben und ihm neuen Geist eingehaucht“, so der Oberbürgermeister.
Für ihr vorbildliches und herausragendes Engagement für das Denkmal wurden die Architekten und Eigentümer erst im Juli mit der Bayerischen Denkmalschutzmedaille geehrt.
„Eine mehr als verdiente Auszeichnung, auf die Sie sehr stolz sein können“, gratulierte Putz den Stengers. Als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung überreichte er ihnen ein Buchskränzchen und würdigte ihre Leistung für den Landshuter Denkmalschutz. „Sie haben viel Zeit, Energie und finanzielle Mittel investiert. Dass sie das Haus darüber hinaus der Öffentlichkeit zugänglich machen, ist eine Bereicherung für die Landshuter Gesellschaft und Kultur und daher umso bewundernswerter. Vielen herzlichen Dank dafür“, so Putz.
„Das freut uns sehr“, entgegnete Markus Stenger: „Ich empfinde eine tiefe Freude, wenn ich hier reingehe. Es ist schön, wenn man so gefordert, aber auch so belohnt wird.“

Markus Stenger hielt seine Gedanken zum Gebäude und dem Umgang mit historischer Bausubstanz auch im Buch „Hausverbrauch“ literarisch fest: Texte mit den Titeln „Das Bedürfnis“, oder „Material und Bauteil“ spiegeln die Haltung des Eigentümers wider. Detailreiche Fotografien, ein geschichtlicher Abriss sowie das verformungsgerechte Aufmaß des Gebäudes runden das Büchlein ab.
Wissenswertes rund um das Haus in der Pfettrachgasse 7 gibt es zum Nachlesen auch unter
www.zurgastgeb.de.

Oberbürgermeister Alexander Putz (Zweiter von rechts) gratulierte den Eigentümern zusammen mit dem Leiter des Bau- und Umweltreferates, Johannes Doll (Zweiter von links), Stadtarchivar Gerhard Tausche sowie Dr. Isabella Denk von der unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt.
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Für ihre Mühen um das denkmalgeschützte Gebäude in der Pfettrachgasse 7 wurde das Architektenehepaar Annette und Markus Stenger (Mitte) im Juli mit der Bayerischen Denkmalschutzmedaille geehrt. Oberbürgermeister Alexander Putz (Zweiter von rechts) gratulierte den Eigentümern zusammen mit dem Leiter des Bau- und Umweltreferates, Johannes Doll (Zweiter von links), Stadtarchivar Gerhard Tausche sowie Dr. Isabella Denk von der unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt.